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Nov 12, 2022 1218 0 Sr. M. Louise O’Rourke
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Die Kraft der Tränen

Wir alle haben im Laufe unseres Lebens unzählige Tränen vergossen. Aber wussten Sie schon, dass Gott jede einzelne von ihnen gesammelt hat?

Warum weinen wir? Wir weinen, weil wir traurig oder genervt sind. Wir weinen, weil wir verletzt und einsam sind. Wir weinen, weil wir verraten oder enttäuscht wurden. Wir weinen, weil wir etwas bedauern, weil wir uns fragen, warum, wie, wo, was …. Wir weinen, weil … nun ja, manchmal wissen wir nicht einmal, warum wir eigentlich weinen! Wenn Sie sich jemals um ein Baby gekümmert haben, kennen Sie den Stress bei dem Versuch herauszufinden, warum das Kind weint, besonders nachdem Sie es gefüttert, gewickelt und zum Schlafen hingelegt haben! Manchmal wollen sie einfach nur gehalten werden. Und genauso wollen auch manchmal wir in den Armen Gottes gehalten und umarmt werden, aber wir sind uns unserer Sündhaftigkeit bewusst, die uns von ihm zu entfernen scheint.

Von den Augen zum Herzen Gottes

Die Heilige Schrift berichtet uns, dass sogar Jesus weinte: „Da weinte Jesus“ (Joh 11,35) – der kürzeste Vers im Evangelium gibt einen Einblick in das Herz von Jesus. In Lukas 19,41- 44 erfahren wir, dass Jesus Tränen über Jerusalem vergoss, weil seine Bewohner „die Zeit (ihrer) Heimsuchung“ nicht kannten. Im Buch der Offenbarung „weinte Johannes bitterlich“ weil niemand geeignet war, die Schriftrolle zu öffnen und zu lesen (Offb 5,4). Diese Erkenntnis des menschlichen Zustands kann unsere Fähigkeit einschränken, die Fülle des Lebens zu erfassen, die Gott jedem von uns ständig anbietet. Offenbarung 21,4 erinnert uns daran, dass „Gott jede Träne abwischen wird“ doch in Psalm 80,6 heißt es, dass der Herr sein Volk „mit Tränenbrot gespeist“ und „überreich mit Tränen getränkt hat“. Also, was von beidem trifft hier zu? Will Gott unsere Tränen trocknen und uns trösten, oder will er uns zum Weinen bringen?

Jesus weinte, weil in den Tränen Kraft liegt. In den Tränen liegt Solidarität. Denn er liebt jeden Menschen so sehr, dass er die Blindheit nicht ertragen kann, die uns daran hindert, die Gelegenheiten wahrzunehmen, die Gott uns gibt, um ihm nahe zu sein, von ihm geliebt zu werden und seine große Barmherzigkeit zu erfahren. Jesus wurde von Mitleid überwältigt, als er sah, wie Martha und Maria den Verlust ihres Bruders Lazarus erleiden mussten. Aber seine Tränen waren vielleicht auch eine Reaktion auf die tiefe Wunde der Sünde, die den Tod verursacht. Der Tod hat die Schöpfung Gottes seit der Zeit von Adam und Eva verzehrt. Ja, Jesus weinte … um Lazarus und um seine Schwestern. Doch gerade während dieser schmerzhaften Erfahrung vollbringt Jesus eines seiner größten Wunder: „Komm heraus!“, sagt er, und sein guter Freund Lazarus kommt aus dem Grab heraus. Die Liebe hat immer das letzte Wort.

Eine andere schöne Bibelstelle, die von Tränen spricht und ein Bild zeigt, das ich sehr schätze, findet sich in Psalm 56,9: „Mein Elend ist aufgezeichnet bei dir. Sammle meine Tränen in einem Krug, zeichne sie auf in deinem Buch.“ Es ist demütigend und tröstlich zu denken, dass der Herr unsere Tränen sammelt. Sie sind wertvoll für den Vater; sie können eine Opfergabe für unseren barmherzigen Gott sein.

Wortlose Gebete

Tränen können das Herz heilen, die Seele reinigen und uns näher zu Gott bringen. In ihrem großen Meisterwerk „Der Dialog“ widmet die heilige Katharina von Siena ein ganzes Kapitel der spirituellen Bedeutung der Tränen. Für sie drücken Tränen „eine erlesene, tiefe Empfindsamkeit, eine Fähigkeit zur Rührung und Zärtlichkeit“ aus.  In seinem Buch „Discerning Hearts„ sagt Dr. Anthony Lilles, die heilige Katharina präsentiere „diese heiligen Regungen als die einzig angemessene Antwort auf die große Liebe, die in Christus, dem Gekreuzigten, offenbart wurde. Diese Tränen führen uns von der Sünde weg und in das Herz Gottes.“ Erinnern wir uns an die Frau, die die Füße Jesu mit dem kostbaren Nardenöl salbte, sie mit ihren Tränen wusch und sie mit ihrem Haar trocknete. Ihr Schmerz ist real, aber auch ihre Erfahrung, dass sie unendlich geliebt wird.

Unsere Tränen erinnern uns daran, dass wir Gott und andere brauchen, um mit uns auf dem Pilgerweg zu gehen. Verschiedene Lebensumstände mögen uns zum Weinen bringen, aber manchmal können diese Tränen die Saat für unsere zukünftige Glückseligkeit sein. Charles Dickens erinnerte uns daran, „dass wir uns unserer Tränen nicht schämen sollten, denn sie sind der Regen auf den blendenden Staub der Erde, der unsere harten Herzen bedeckt.“ Manchmal sind genau diese Tränen die einzige Brücke zu Gott, um vom Tod zum Leben zu gelangen, von der Kreuzigung zur Auferstehung. Als Jesus an jenem Tag der Auferstehung Maria Magdalena begegnete, fragte er: „Frau, warum weinst du?“ Aber er verwandelt ihre Tränen bald in eine Explosion der österlichen Freude, als er ihr den Auftrag erteilt, die erste Botin der Auferstehung zu sein.

Während wir unsere Pilgerreise fortsetzen und manchmal darum kämpfen, die Torheit des Kreuzes zu verstehen, mögen wir über die Dinge weinen, die Jesus zum Weinen bringen – Krieg, Krankheiten, Armut, Ungerechtigkeit, Terrorismus, Gewalt, Hass – alles, was unsere Brüder und Schwestern klein macht. Wir weinen mit ihnen; wir weinen für sie. Und wenn uns in den unerwartetsten Momenten die Tränen übermannen, können wir in dem Frieden ruhen, dass unser Gott jede einzelne mit Sanftmut und Fürsorge auffängt. Er kennt jede Träne und er weiß, was sie verursacht hat. Er sammelt sie und vermischt sie mit den göttlichen Tränen seines Sohnes. Eines Tages, wenn wir mit Christus vereint sind, werden unsere Tränen Freudentränen sein!

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Sr. M. Louise O’Rourke

Sr. M. Louise O’Rourke ist eine Schwester des Göttlichen Meisters (PDDM), ein Orden, der gegründet wurde, um durch soziale Kommunikation und insbesondere durch Kunst und Schönheit zu evangelisieren. Sie dient derzeit in Dublin, Irland. Sie bloggt unter: https://pilgrimsprogresspddm.blogspot.com/

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