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Sep 07, 2020 588 0 Diakon Jim McFadden
Begegnung

Entdecke deine wahre Identität

Du bist wahrhaftig, vollkommen, großartig… so, wie Gott sagt, dass du es bist!

Wellen der Verzweiflung

Im Jahr 2011, kurz vor den Weihnachtsferien, bekam ich eine mysteriöse Krankheit. Keiner der Ärzte konnte feststellen, was es war. Am 23. Dezember begann ich zu zittern und zu bibbern. Ich fühlte enorme Schmerzen um meinen Kopf herum, meinen Nacken und meine Arme, also legte ich mich ins Bett – in der Annahme, dass das noch vor dem Weihnachtstag vorüber sein würde. Nun, das war es nicht.

Am zweiten Weihnachtsfeiertag war ich in der Notaufnahme und hatte noch größere Schmerzen. Der Schmerz wanderte von meinem Kopf über die Schultern in die Arme und in die Beine. Der Arzt in der Notaufnahme vermutete, es könnte Polymyalgia Rheumatica sein – etwas, für das es kein Heilmittel gibt. Sie schickten mich mit einem Rezept für Schmerzmittel und Prednison nach Hause.

Im Laufe der Woche besserte sich mein Zustand nicht, und ich begann zu ahnen, dass ich nicht mehr zum Unterricht zurückkehren würde. Es waren nicht nur körperliche Schmerzen, mit denen ich zu kämpfen hatte. Ich kämpfte auch mit Verzweiflung. Ich fühlte, wie Wellen der Depression mich regelmäßig überrollten. Ich konnte mir nicht vorstellen, wie ich damit für den Rest meines Lebens leben sollte.

Ein einfaches Gebet

Ich habe jeden Tag mit meinem geistlichen Leiter telefoniert. Irgendwann sagte ich ihm: „Das müssen die Menschen, denen ich diene, jeden Tag erleben.“ Mein Dienst als Diakon gilt jenen, die an einer psychischen Krankheit leiden. Dieses Leiden gab mir einen kurzen Einblick von innen auf den dunklen und schwierigen Weg, den sie ihr Leben lang gehen müssen. Ich gewann eine viel tiefere Wertschätzung für ihr edelmütiges Leben durch die Anteilnahme an den Leiden Christi.

Mein geistlicher Begleiter drängte mich zum Gebet: „In deine Hände, Herr, lege ich meinen Geist. In deine Hände, Herr, empfehle ich meinen Geist“. Diese Verse sind Teil des Nachtgebetes aus dem Brevier, deshalb bete ich diese Zeilen schon seit Jahren. Aber wenn wir bestimmte Gebete oft wiederholen, können wir das Gefühl für ihre tiefe Bedeutung verlieren. Ich hatte im Zusammenhang mit meiner Krankheit nie an dieses Gebet gedacht. Deshalb habe ich es dann mit umso größerer Konzentration gesprochen. Mit anderen Worten: „In deine Hände, Herr, lege ich meinen Geist; tu mit mir, was du willst. Wenn es dein Wille ist, dass ich nie wieder ins Klassenzimmer zurückkehre, dann soll es so sein.”

In dieser Nacht schlief ich gut. Ich wachte in einem Geist großer Freude auf. Ich hatte immer noch große Schmerzen, aber die Dunkelheit war fort. Bald darauf begannen die Schmerzen nachzulassen, und schließlich, nachdem ich langsam vom Prednison entwöhnt worden war, konnte ich wieder ins Klassenzimmer zurückkehren und weitere 8 Jahre unterrichten. Weder mein Hausarzt noch einer der Spezialisten, die ich damals aufsuchte, entdeckten je, was mir solche Qualen bereitet hatte. Die letzte Fachärztin, die ich sah, versicherte mir, dass es keine Polymyalgia Rheumatica gewesen sei – obwohl sie nicht wusste, was es war. Wahrscheinlich nur eine Art Virus.

Der Geschmack des Leidens

Im Laufe der Jahre habe ich auf diese Erfahrung als einen großen Segen, als ein Geschenk, zurückgeblickt. Sie hat mir geholfen, die psychisch Kranken, die ich besuche, in einem anderen Licht zu sehen. Ich bekam einen Vorgeschmack auf das, was sie jeden Tag und Jahr für Jahr erleiden. Ein Verständnis für ihre Not zu bekommen war wesentlich, um ihnen in ihrer Not Gesellschaft zu leisten. So, wie mein Seelenführer mich in dieser schwierigen Zeit begleitet hat.

Genau darum geht es in der Fleischwerdung der zweiten Person der Dreifaltigkeit. Der Sohn Gottes nimmt die menschliche Natur an und tritt in die menschliche Finsternis ein. Dadurch verbindet er sich selbst mit dem menschlichen Leiden.

Er ist gekommen, um sein Licht in unsere Dunkelheit und sein Leben in unseren Tod zu bringen, so dass wir, wenn wir leiden, nicht mehr allein leiden und nicht mehr allein sterben. Wir können ihn inmitten unseres Leidens finden, und wir können ihn in den Qualen unseres eigenen Todes finden. Was wir finden, ist eine unerschöpfliche Barmherzigkeit, die uns verbindet und uns in unserem Leiden und Sterben Gesellschaft leistet.

Wahre Liebe entdecken

Die göttliche Gerechtigkeit hat sich in der Person Christi als göttliche Barmherzigkeit offenbart. Die Barmherzigkeit Gottes offenbart sich in seiner Passion, seinem Tod und seiner Auferstehung. Obwohl wir es nicht verdienen, offenbart Gott, der das ewige Leben selbst ist, die grenzenlosen Tiefen seiner Barmherzigkeit, indem er am Kreuz stirbt. Durch seinen Tod zerstört er die Dauer, die Dunkelheit und die Verzweiflung des Todes.

Das hätte er auch getan, wenn du oder ich der einzige Mensch wäre, der vom ewigen Tod erlöst werden müsste. Gott liebt nicht die Menschheit im Allgemeinen. Nein, er liebt jeden einzelnen Menschen, als ob es nur einen von uns zu lieben gäbe. Auch wenn Gott nicht in jedem Augenblick unseres Lebens unsere Aufmerksamkeit hat, so hat doch jeder einzelne Mensch seine ungeteilte Aufmerksamkeit in jedem einzelnen Augenblick seiner Existenz. So sehr wird jeder Mensch von Gott geliebt.

Bring deine Ängste zum Schmelzen

Das Leben ist ein Lernen, diese vollkommene Liebe zu entdecken. Zu viele von uns fürchten sich davor, sich von dieser Liebe berühren zu lassen, denn sie ist wie die Sonne, die alles erhitzt, was unter ihren Strahlen verbleibt. Sie bringt unsere tiefsten Widerstände zum Schmelzen, aber für einige von uns sind Klagen zu einem wesentlichen Teil ihrer Identität geworden, so dass wir dieser Liebe ausweichen. Die vollkommene Liebe Gottes wird auch unsere Ängste schmelzen lassen, aber einige Menschen klammern sich an ihren Befürchtungen fest, weil ihre Haltung der Selbstverteidigung ein fester Bestandteil ihrer Persönlichkeit ist. Um diese Liebe anzunehmen, müssen wir die völlige Unabhängigkeit loslassen, damit der Herr uns als seine Kinder führen kann. Widerstände, Ängste und völlige Unabhängigkeit loszulassen, kann dazu führen, dass wir uns verloren fühlen, aber natürlich sind wir nicht verloren. Wir sind gefunden worden.

Die Barmherzigkeit Gottes, die sich in Christus offenbart – in seiner Menschwerdung, seinem Leiden, seinem Tod und seiner Auferstehung – ist vollständig und unerwartet. Wir sehen diese Barmherzigkeit im Bild des Kreuzes. Wir müssen zulassen, dass dieses Bild seiner unbegreiflichen Barmherzigkeit von außen nach innen wandert. Von einem Objekt, das wir äußerlich betrachten, zu einem Licht und einer Liebe, die wir von unserem Inneren her kennen. Das zu erreichen, dauert ein ganzes Leben. Doch der Tag, an dem wir beginnen, diesen Weg zu gehen, ist der Tag, an dem wir beginnen zu leben.

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Diakon Jim McFadden

Diakon Jim McFadden ist Pfarrer an der katholischen Kirche Saint John the Baptist in Folsom, Kalifornien. Er ist Theologieprofessor und arbeitet in der Erwachsenenbildung und geistlichen Begleitung.

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