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Jan 28, 2021 729 0 Diakon Doug McManaman, Kanada
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Die Kraft der Gegenwart

Was ist die schönste Erinnerung deines Lebens? Weißt du, was sie so reich und lebendig macht?

Spur der Erinnerung

Vor Kurzem beschloss ich spontan, einen guten Priesterfreund von mir zu besuchen. Mein Freund kommt schon in die Jahre und es ist schwer zu sagen, wie viel Zeit ihm noch bleibt. In den letzten Monaten habe ich mehr über die Zeit nachgedacht. Wir sind seit über 30 Jahren befreundet, und mir ist klar geworden, wie viele wunderbare Augenblicke wir miteinander geteilt haben, die seither aus meinem Gedächtnis verschwunden sind. An einige Ereignisse kann ich mich wieder erinnern, wenn ich mich konzentriere oder wenn etwas sie plötzlich ins Gedächtnis ruft. Diese Erinnerungen stammen von den vielen Malen, die ich ihn im Laufe der Jahre in den verschiedenen Pfarreien, in denen er zugeteilt war, besucht habe.

Was mir ganz besonders an diesen Erinnerungen auffällt, ist, wie viele Lücken sie haben, wie viel vergessen wurde. Es gibt einen enormen Reichtum im gegenwärtigen Moment, der schnell in die Vergangenheit abdriftet, und nach einer Weile sind die meisten dieser Momente einfach der Erinnerung entschwunden. Aber das Erinnern an diese Augenblicke lässt uns bewusstwerden, was wir im gegenwärtigen Moment nur unbewusst gespürt hatten, nämlich einen Wohlstand, ein Gefühl des Segens, einen Reichtum, den wir gerne zurückgewinnen möchten.

Die Zeit ist kurz, und so beschloss ich, zu ihm zu fahren. Dabei dachte ich mir, dass auch diese Nacht ein Moment voller verborgener Reichtümer sein würde, die eines Tages eine ferne Erinnerung sein würden. Ein großer Teil dieses gegenwärtigen Moments wird, wenn er vorbei ist, verloren sein. Was bleibt, wird etwas offenbaren, das verborgen war, als dieser Moment ein „Jetzt“ war – wie ein verborgener Schatz in einem Feld (Mt 13, 44-46).

Mittelpunkt des Lebens

Was macht diese Momente mit meinem Freund so unvergesslich, fragte ich mich? Was ist es, das ihnen Reichtum verleiht? Das ist für mich nicht schwer zu beantworten. Es ist darauf zurückzuführen, was unsere Freundschaft verbindet. Im Allgemeinen beruhen Freundschaften auf Gemeinsamkeiten, also gemeinsame Eigenschaften und Interessen. Manche gemeinsamen Interessen und Eigenschaften sind trivial, und so ist auch die darauf basierende Freundschaft trivial. Aber unsere Freundschaft ist nicht trivial, welche Besonderheit haben wir also gemeinsam? Die Antwort ist unsere Liebe zu Christus. Er steht im Mittelpunkt. Was wir gemeinsam haben, ist unsere Liebe für den katholischen Glauben, für die Messe, für die Beichte, unsere Liebe für die theologische Entfaltung dieses Glaubens. Wenn wir zusammen sind, verbringen wir viel Zeit damit, theologische Ideen zu diskutieren, die Implikationen bestimmter theologischer Einsichten, Predigten, großartige Bücher und aktuelle Themen – politische oder andere – im Licht der Prinzipien des Glaubens. All das entspringt dem, was wir am meisten lieben, nämlich Christus.

Und wer ist Christus? Er ist die Ewigkeit, verbunden mit der Zeit. Wie Boethius es definierte, ist die Ewigkeit der „ganze, gleichzeitige und vollkommene Besitz des unendlichen Lebens“. Gott ist ewig; wir sind es nicht, denn wir besitzen die zeitlichen Momente unseres Lebens nicht vollkommen und gleichzeitig, sondern unvollkommen, partiell und sequentiell. Und so ist das Leben in der Zeit sehr stark von Unvollkommenheit und Unzufriedenheit geprägt. Das Herz wünscht sich den vollkommenen Besitz des Ganzen, den vollkommenen Besitz unseres eigenen Lebens und des unendlichen (ewigen) Lebens. Kurz gesagt, sehnen wir uns nach der Ewigkeit; wir sehnen uns nach Gott. Daher ist wahr, was im Buch Kohelet geschrieben steht: „Windhauch, Windhauch, das ist alles Windhauch“ (Koh 1,2). Das Leben in der Zeit kann uns nicht geben, was wir uns wünschen. Aber die Ewigkeit ist in die Zeit eingetreten, das ewige Wort ist Fleisch geworden (Joh 1,14). Dadurch ist die Zeit mit etwas verbunden und in etwas eingebettet, das uns geben kann, was das Herz begehrt, nämlich die Ewigkeit.

Die Ewigkeit im gegenwärtigen Moment

Wir sehnen uns nach dem Wort, in dem wir den Vater sehen und in dem wir beginnen, das Geheimnis unserer selbst zu verstehen, das heißt, die Bruchstücke unseres Lebens zu einem Ganzen zusammenzufügen. Wir sehnen uns nach Christus. Und wenn unsere Freundschaften und unser tägliches Leben auf ihn ausgerichtet sind, in ihm verwurzelt sind, auf ihn fokussiert sind, wird die Zeit unermesslich sinnvoll. Die Bedeutung, die im gegenwärtigen Moment liegt, übertrifft oder übersteigt das, was die begrenzte Gegenwart enthalten kann; und die Erinnerung gibt uns einen Einblick in diese Bedeutung, einen Einblick in etwas, das wir zu der Zeit wussten und erlebten, aber nicht vollständig und bewusst artikulieren konnten. Es war ein unbewusster oder vorbewusster Besitz, denn indem der Sohn sich mit einer menschlichen Natur verband, verband er sich gleichsam mit jedem Menschen. Was wir begehren, ist in uns, denn „das Reich Gottes ist mitten unter euch“ (Lk 17,21), und es ist außerhalb von uns, verbunden mit jedem Augenblick der Zeit.

Christus zu entdecken, heißt, das Geheimnis der Ewigkeit im gegenwärtigen Augenblick zu entdecken. Den Kontakt zu Christus zu verlieren, bedeutet, den Kontakt zum Reichtum des gegenwärtigen Augenblicks zu verlieren, und dieser Verlust schürt in uns den ängstlichen Wunsch nach Ruhe. Wir fangen an, aus der Vergangenheit heraus zu leben, oft aus Reue über die Vergangenheit, und ohne dann ganz in der Gegenwart zu leben, leben wir für eine Zukunft, die es noch nicht gibt und die es vielleicht nie geben wird – wir sterben vielleicht ein Jahr, nachdem wir alles erreicht haben, was wir uns vorgenommen haben, sterben vielleicht im Wohnzimmer des schönen Anwesens, das wir uns mit den Ersparnissen für unseren Ruhestand gebaut haben, der aber durch Unvorhergesehenes, das wir nicht kontrollieren konnten, unterbrochen wurde, wie Krebs oder einen Autounfall oder ein Gehirn-Aneurysma. Weil wir nicht für Christus lebten, versäumten wir es, die Schönheit und den Reichtum des gegenwärtigen Augenblicks zu entdecken. Und stattdessen suchten wir Schönheit und Reichtum in dem, was noch nicht existierte, nämlich in der Zukunft. Christus nicht zu finden, bedeutet zu versagen. Ein gescheitertes Leben ist ein vergeudetes Leben. Inne zu halten und an den Rosen zu riechen ist ein müdes Klischee. Aber die lebendige Rose verkündet Christus, der mit Dornen gekrönt worden ist, und ihr Duft verkündet die duftende Schönheit, zu der ein Leben wird, wenn sein Blut durch unsere Adern fließt.

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Diakon Doug McManaman

Diakon Doug McManaman ist pensionierter Lehrer für Religion und Philosophie in Südontario. Er hält Vorlesungen über katholische Erziehung an der Niagara University. Sein mutiger und selbstloser Dienst als Diakon gilt vor allem denjenigen, die an psychischen Krankheiten leiden.

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